„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“

Martin Buber, aus „Das Dialogische Prinzip. Ich und Du“

Vom schwierigen Umgang mit der Menschenwürde

Der frühere Bundesinnen- und -verteidigungsminister Thomas de Maizière hat am Freitagabend bei seiner Fastenpredigt im Essener Dom dargelegt, dass der konkrete Umgang mit der im Grundgesetz verankerten Menschenwürde viele Fragen aufwirft. Ein nachdenklich machender Impuls über einen Rechtsbegriff, der nach christlicher Überzeugung von Gott gegeben ist. 

Weil Gott den Menschen nach seinem Abbild geschaffen hat, hat nach christlicher Überzeugung jeder Mensch eine individuelle Würde

Diese Würde schützt in Deutschland Artikel 1 des Grundgesetztes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar"

Dass dieser Grundsatz jedoch zu schwierigen Abwägungen führt, hat Thomas de Maizière in seiner Fastenpredigt ausgeführt

Zu einem behutsamen und besonnenen Umgang mit dem Begriff der Menschenwürde hat der ehemalige Bundesinnen- und -verteidigungsminister Thomas de Maizière am Freitagabend im Essener Dom aufgerufen: „Seien wir zurückhaltend und besonnen, wenn wir die Menschenwürde ins Feld führen! Sie ist so kostbar wie ein Schatz.“ Als erster Gast der diesjährigen Fastenpredigten nahm de Maizière die zahlreichen Besucherinnen und Besucher des Gottesdienstes in seiner gut halbstündigen Rede mit auf eine religiös fundierte Reise durch die schwierigen Abwägungen, die zum Beispiel Politiker im Umgang mit dem wichtigsten deutschen Grundrecht treffen müssen.

Wenn die Fastenzeit zum Nachdenken über sich selbst, über die eigenen Beziehungen und das Verhältnis zu Gott anregen soll, hat der CDU-Politiker den Menschen im Dom zu Beginn dieser gut sechswöchigen Vorbereitungszeit auf Ostern reichlich Fragen mit auf den Weg gegeben. Dass sich die im ersten Artikel des Grundgesetzes festgelegte, unantastbare Würde des Menschen zumindest für Christen direkt von der biblischen Überzeugung her ableitet, dass Gott die Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat, war dabei wohl noch weitestgehend Konsens. Und dass – wie de Maizière ausführte – nicht jede Sozialhilfekürzung, jede Polizeiaktion und nicht einmal die viel diskutierte Corona-Impfpflicht gleich automatisch ein Angriff auf die Menschenwürde ist, dürfte ebenfalls kaum Widerspruch geweckt haben. Aber wie ist es etwa mit Fernsehshows wie „Big Brother“ oder dem „Dschungelcamp“: „Sich unter dauernder und ungehemmter Beobachtung zu befinden, sich unter widrigsten Bedingungen von Insekten und Tiergenitalien ernähren zu müssen, das würden wir im normalen Leben als menschenunwürdig bezeichnen“, sagte de Maizière. Gebe es einen Unterschied, wenn ein Mensch dies freiwillig mache, und dafür bezahlt werde? „Wenn die Menschenwürde ein universeller Wert ist, dann gilt sie immer und für jeden. Egal, was oder wer sie angreift.“ Man könne aber auch sagen, „der Wert der Menschenwürde und der daraus abgeleiteten Freiheit geht so weit, dass man auf sie freiwillig verzichten kann“, argumentierte der Jurist. Antworten auf seine vielen Fragen gab de Maizière in seiner Predigt nur selten. Viel wichtiger war ihm, deutlicher zu machen, wie schwierig eine Abwägung in diesen Fragen sei. 

Gilt die Menschenwürde auch im Ausland?

Dies gelte zum Beispiel auch mit Blick auf die Menschenwürde im Ausland, gerade vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine. „Wenn die Menschenwürde ein universelles Menschenrecht ist, dann gilt sie eigentlich für alle Menschen – unabhängig von ihrer Geburt, ihrer Herkunft und ihrer Nationalität“, so de Maizière. Deshalb hätten zum Beispiel Flüchtlinge in Deutschland genau den gleichen Anspruch auf Menschenwürde wie die deutsche Bevölkerung. Aber müsse Deutschland „notfalls auch militärisch eingreifen, wenn irgendwo in der Welt die Menschenwürde mit Füßen getreten wird?“, fragte der Politiker. Darf man überhaupt mit Ländern zusammenarbeiten, die die Menschenwürde verletzten, oder – ganz aktuell: „Dürfen wir überhaupt Gas importieren von Russland, das gerade in das Gebiet seines Nachbarn einmarschiert?“ Hier gab sich de Maizière pragmatisch und wurde ungewohnt deutlich: „Der Staat soll sich nicht anmaßen, etwas durchzusetzen, was er gar nicht durchsetzen kann“, sagte der Bundestagsabgeordnete für den sächsischen Wahlkreis Meißen. „Die nationale Souveränität, die beschränkte Kraft Deutschlands und die eigene Geschichte gebieten es, dass man sich auch nicht als politischer Missionar der Welt aufspielt, um anderen Staaten und Kulturen diese Vorstellung von ,unserer‘ Menschenwürde gegen ihren Willen und ihre Tradition aufzuzwingen.“ Er warnte vor „Moral-Kolonialismus“ und erinnerte daran, dass es nicht viele Länder auf der Welt gebe, die die deutsche Vorstellung von einer individuellen und universellen Menschenwürde teilen, die der Staat zu schützen habe. De Maizière betonte: „Auch der demokratische Rechtsstaat muss den Dialog führen mit Machthabern, die die Menschenwürde missachten. Aber er muss wissen, mit wem er redet. Und es gibt Grenzen für solche Gespräche.“ Als Beispiel verwies er auf Afghanistan und die Frage nach der weiteren Entwicklungshilfe angesichts der Machtübernahme durch die Taliban.

Die nächsten Fastenpredigten

Im Essener Dom gibt es in diesem Jahr noch zwei weitere Fastenpredigtenin der Reihe „Königlich, MENSCHlich. Göttlich!“, jeweils freitags um 18.30 Uhr:

  • Am 18. März spricht Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Misereor, über die Frage, ob das Evangelium eine „Quelle der Menschenwürde und der Geschwisterlichkeit?!“ ist.
  • Am 1. April spricht Agnes Wuckelt, Professorin em. für Religionspädagogik, über „Aufrecht stehen und Gott loben. Von der Würde der Lai*innen“.

 

 

Realistische Antworten sind nie widerspruchsfrei!

Zwischen Wegschauen oder dem sofortigen Eingreifen bei Menschenrechtsverstößen auf der Welt „muss eine realistische Antwort liegen“, betonte de Maizière. „Aber sie ist nie widerspruchsfrei.“ Entscheidungen auf der Basis solcher Abwägungen „offenbaren Dilemmata, können schuldig machen“.

 

Damit entließ de Maizière seine Zuhörerinnen und Zuhörer nach „schwerer Kost“ und „politischem Schwarzbrot in der Fastenzeit“, wie er sagt. Zusammen mit Bischof Franz-Josef Overbeck und dem Domkapitel bedankte sich das Publikum mit Applaus für die Predigt des 68-Jährigen. Dass dieser vielleicht ein wenig verhaltener ausfiel, dürfte wohl an der großen Nachdenklichkeit gelegen haben, die de Maizière ausgelöst hat.

 

 

Quelle: BistumEssen.de / Autor: Thomas Rünker / Foto: Achim Pohl 

 

 

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